Köln steht auf dem Spiel

Handball

18. April 2018, 00:05 Uhr

Der legendäre Treffer von Grégory Anquetil (Nr. 9) im Viertelfinal-Rückspiel 2005 bedeutete das Aus für die SG um Joachim Boldsen (v. l.), Kaupo Palmar, Blazenko Lackovic und Johnny Jensen. Archivfoto

Im Viertelfinale der Champions League trifft die SG Flensburg-Handewitt auf Montpellier AHB. Das Hinspiel steigt am Mittwoch (19 Uhr/live Sky) - die Nordlichter wollen nach 2014 zum zweiten Mal zum Final Four.


Flensburg. Es sind nicht viele Sportler, die sich in das Goldene Buch der Stadt Flensburg eintragen dürfen. Meistens sind es Handballer aus dem Hause der SG Flensburg-Handewitt. So wie 2014 als die Nordlichter die Champions League gewannen. Am Mittwoch wurde die Ehre der Box-Legende Wladimir Klitschko zu Teil. Wenn die SG-Handballer im bevorstehenden Champions League-Viertelfinale gegen Montpellier AHB genau so viel Durchschlagskraft wie einst »Dr. Steelhammer« beweisen, dann gelingt dem Team von Trainer Maik Machulla der Sprung zum Final Four in Köln (26./27. Mai) und ein weiterer Eintrag ins das Goldene Buch der Fördestadt könnte bevorstehen. 
Doch soweit ist es noch lange nicht. Am Mittwoch (19 Uhr/live) Sky steht das erste von zwei Duellen gegen den aktuellen Spitzenreiter der französischen Liga an. Und die Südfranzosen sind alles andere als ein Sparringspartner, sie sind eher ein knallhartes Schwergewicht. »Montpellier ist eine sehr erfahrene Mannschaft die weiß, worum es geht. Als Tabellenführer in Frankreich haben sie zudem jede Menge Selbstvertrauen«, so Machulla. Der SG-Coach sagte im Vorfeld jedoch auch: »Wir spielen zu Hause und wollen Gas geben.« SG-Manager Dierk Schmäschke meinte im Vorfeld: »Das ist eine hammerharte Aufgabe, aber unser Ziel ist klar und besteht nur aus vier Buchstaben: Köln.« 

Die beiden SG-Verantwortlichen hoffen auf eine volle Halle und reichlich Fan-Unterstützung. »Aktuell haben wir 4500 Karten verkauft, es gibt also noch Tickets in allen Kategorien, aber wir hoffen auf ein volles Haus«, so Schmäschke, der auch sagte, dass die man kurzfristig die gesamten 6300 Plätze öffnen könne. »Genau wie vor einigen Wochen gegen Berlin brauchen wir wieder die Hölle Nord«, so Machulla, der sich an die klasse Stimmung vom 29:21-Sieg in der Liga vor einem Monat erinnerte. Ein ähnliches Ergebnis würden ihn auch freuen, aber der Coach will von der berühmten guten Ausgangslage und einem Vorlegen im Hinspiel nichts wissen. »Wir wollen einfach das Spiel gewinnen. Ich kann den Jungs nicht sagen, sie sollen mit fünf Toren gewinnen, so etwas geht nicht.« Beim letzten Aufeinandertreffen ging es knapp zu. Im Achtelfinale der Champions League in der Saison 2015/16 gewann die SG auswärts zunächst mit 28:27 und anschließend in der Flens-Arena mit 31:30. In der Serie 2012/13 war Machulla selbst noch aktiv und wirkte beim 37:37 zum Auftakt der Gruppenphase mit. Im Rückspiel fiel er verletzt aus - in der Sauna hatte er sich einen Zeh gebrochen. Stattdessen durfte damals Youngster Thies-Jakob Volquardsen beim 27:25-Auswärtscoup auflaufen. Insgesamt standen sich beide Teams seit 1997 in zehn Begegnungen gegenüber. Die SG siegte sechs Mal, verlor nur zwei Mal. Legendär ist das Viertelfinal-Duell von 2005. In Montpellier hatte die SG mit 22:36 verloren, führte im Rückspiel kurz vor dem Abpfiff jedoch 32:18. Mit einem direkt verwandelten Freiwurf zum 19:32 kamen die Franzosen aber doch noch weiter.

Sohn einer Legende

Damals wie heute auf der Trainerbank: Patrice Canayer. Seit 1994 ist er Chefcoach in dem Club am Mittelmeer und war auch dabei, als 2003 die »Königsklasse« gewonnen wurde. Montpellier ist übrigens der einzige französische Verein, dem das bisher gelungen ist. Auch deshalb ist der Respekt bei Machulla groß. »Patrice ist ein erfahrener und kreativer Trainer. Er wird uns 60 Minuten lang vor immer neue Aufgaben stellen.« Eine davon wird es sein Dauerbrenner Michaël Guigou auszuschalten. Auch er war 2003 und 2005 schon dabei und zählt neben den aktuellen französischen Nationalspieler wie Vincent Gerard, Mathieu Grebille, Ludovic Fabregas, Baptiste Bonnefond und Valentin Porte zu den Stars im Team. Doch Machulla, der vor allem von Kreisläufer Fabregas angetan ist (»ein großer Kerl der vor zwei Jahren noch wild war, heute aber routiniert ist«, O-Ton Machulla), hat noch andere Namen ausgemacht. Da wäre Altstar Vid Kavticnik, der früher beim THW Kiel aktiv war und laut Machulla dem Spiel der Franzosen ein »besonderes Element« gibt, weil sie mit ihm mit zwei Linkshändern im Rückraum agieren können. Da ist zum anderen auch der argentinische Spielmacher Diego Simonet, ein Meister seines Fachs und vor allem Nachwuchsmann Melvyn Richardson, Sohn des legendären Jackson Richardson. »Ihn kenne ich noch als ganz kleinen Jungen. Wenn man mittlerweile gegen die Kinder der Spieler spielt, gegen die man selber noch aktiv war, dann ist man alt geworden«, so Machulla scherzhaft. Wieder ernster sagte er: »Melvyn hat es im Achtelfinale gegen Barcelona gut gemacht und viel Verantwortung übernommen.« Überhaupt hat Machulla die Tatsache, dass Montpellier das große »Barca« rausgeworfen hat beeindruckt. Zuletzt unterlag MAHB im französischen Pokal-Halbfinale zwar gegen Nimes (30:32) und der Vorsprung auf Paris in der Liga ist von sechs auf zwei Zähler geschrumpft, doch davon lässt sich der SG-Coach nicht blenden. »Ich schaue nicht nur auf die Ergebnisse, sie haben in allen Partien eine gute Leistung abgerufen«, so Machulla, der ein intensives Videostudium betrieben hat. »Man bereitet sich anders vor als auf ein Bundesliga-Team, das man aus dem Alltag kennt. Die französische Liga ist nicht besonders präsent, da muss man sich schon ein genaues Bild machen.« Ob es gelingt, wissen alle Beteiligten erst nach dem Rückspiel am 29. April in Montpellier. Vor der »ersten Halbzeit« versprach SG-Kapitän Tobias Karlsson jedenfalls: »Die Mannschaft wird sich zerreißen.« Machulla hört das gerne, warnt aber auch: »Wir müssen gemeinsam mit dem Publikum brennen, dabei aber nicht die nötige Lockerheit vermissen lassen. Es gilt nicht zu überdrehen und um jeden Preis vorlegen zu wollen.« Es ist schließlich das erste von zwei Spielen. Die Entscheidung fällt so oder so erst im Rückspiel.
Erfreulich aus SG-Sicht: Alle Spieler sind fit.

Ruwen Möller