Ljubomir Vranjes: »Man kann im Leben nicht alles haben«

Handball

17. Juni 2017, 12:00 Uhr

Ein letzter wehmütiger Blick zurück. Ljubomir Vranjes verlässt die SG Flensburg-Handewitt nach elf Jahren. (Fotos: Lars Salomonsen)

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Flensburg. Nach elf Jahren verlässt Ljubomir Vranjes die SG Flensburg-Handewitt. Zum leidwesen seiner Frau hat er zwar noch keine Kartons gepackt, aber der Möbelwagen ist bestellt. Zunächst steht noch ein Familien-Urlaub in Griechenland an, bevor es Mitte Juli von Handewitt nach Budapest geht. In der Bodega im Hotel Alter Meierhof trafen wir den Schweden zu einem letzten Interview. 

Obwohl er ein großer Liebhaber ist, war es für Vranjes morgens um zehn noch zu früh, um ein Glas Wein zu genießen. Dennoch entstand ein launiges Gespräch, in dem der 43-Jährige noch einmal zurückblickte. Er analysierte das Hier und Jetzt und schaute in die Zukunft. Er erzählte von großen Emotionen, starkem Zusammenhalt, guten Freunden, davon das in Flensburg nicht alles perfekt ist, was er seinem Nachfolger wünscht, er äußerte sich zur Personalie Kentin Mahé und ging auch auf die Abschiedsworte von Boy Meesenburg, Beiratsvorsitzender der SG, ein. Außerdem erklärte er, warum er nicht mit Veszprém gegen die SG spielen will. 

Flensborg Avis: Ljubomir Vranjes, am Sonnabend hattest du dein letztes Spiel als SG-Coach, wie hast du den Tag erlebt?
Ljubomir Vranjes: Jetzt kann ich cool sein, aber ich muss ehrlich sagen: es war hart. Nicht nur der Tag selber, auch schon der Tag vorher war richtig hart. Ich lag abends vorm Spiel im Bett und das Kopfkino ging los. Die Erinnerungen kamen hoch, ich habe mich gefragt, was habe ich gut gemacht, was hätte ich besser machen können, Familie, Spieler, alles kam auf einmal. Dazu bekommt man persönliche Nachrichten, sogar lange Briefe, die einen persönlich berühren und daher war es schwer zu schlafen. Dann kamen Leute mit Geschenken und ich kann nur sagen: wir haben fantastische Leute in Flensburg kennengelernt. 

Der Abschluss tat also weh, es war aber dennoch ein schöner Abschied? Konntest du es in der Halle genießen? 
Ich kann mich normalerweise an jedes Detail von einem Spiel erinnern, aber diesmal kann ich mich an fast nichts erinnern. Zum ersten Mal ist das so. Maik (Machulla, Co-Trainer und Vranjes-Nachfolger/Red.) hat sich in den letzten drei Spielen bereits um die Taktik und die Videoanalyse gekümmert. Ich war noch anwesend, aber mental war es schwer. Ich war auch in der Halle anwesend, meine Gedanken waren jedoch sehr tief in meinem Kopf und meinem Herz. 

Was wird nach elf Jahren in Erinnerung bleiben? Du bist als Spieler gekommen, warst Sportdirektor, Trainer - was bleibt sportlich und persönlich hängen? 
Der Zusammenhalt. Den Zusammenhalt, den wir hatten, der war nicht normal. Viele Teams haben guten Teamgeist und kämpfen füreinander, aber jeder Spieler, der zu uns gekommen ist, hat gesagt, dass es bei uns etwas Besonderes ist. Und es ist so. Wir haben etwas Besonderes aufgebaut und das werde ich sehr vermissen. Meine Jungs. Mit vielen habe ich lange Jahre verbracht, Anders Eggert und ich waren z.B. elf Jahre gemeinsam hier, Thomas Mogensen zehn Jahre usw. - da stecken viele Emotionen drin. Sie sind nicht nur meine Spieler sondern meine Freunde. Außerdem werde ich es vermissen, in die Flens-Arena einzulaufen und ich werde die Fans, wie sie hinter uns standen und uns die letzten Prozent gegeben haben, um Spiele zu gewinnen. Und alle Freunde drumherum, werde ich vermissen, ganz einfach. 

Freut sich auf Ungarn: Ljubomir Vranjes. (Foto: Lars Salomonsen)

Gibt es auch unschöne Dinge, die du nicht unbedingt vermissen wirst? 

Wenn man sich trennt, gibt es das immer. Mit einem Arbeitgeber ist es wie zwischen einer Frau und einem Mann, es gibt immer zwei Seiten. Viel Fokus liegt auf mir, aber es gibt zwei Seiten und in Flensburg ist nicht alles perfekt. Aber das ist es in anderen Vereinen auf dieser Welt auch nicht. Ich bin jetzt allerdings elf Jahre hier und einiges, was in letzter Zeit passiert ist, hat mir nicht gefallen. Einiges davon kann ich natürlich nicht öffentlich sagen, aber diese Dinge werde ich natürlich nicht vermissen. In den letzten zwei Jahren haben viele hier in der Region die Bodenhaftung verloren. Ich arbeite jeden Tag sehr hart - wie andere natürlich auch - aber ich vergesse nicht, wo ich herkomme und versuche immer, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben. Am Ende war es zu viel. Wir sind gut, aber man darf nicht vergessen mit welchen finanziellen Mitteln wir hier gearbeitet haben und womit wir das erreicht haben, was wir erreicht haben, wo die Spieler herkommen und welche Entwicklung wir durchgemacht haben. 

Ist die Erwartungshaltung zu hoch geworden? 
Erwartungen muss man haben. Wir hatten in den letzten zwei Jahren das beste Team meiner Amtszeit, aber wir haben keinen Titel gewonnen. Titel holt man sich nicht einfach, man muss dafür kämpfen und es gibt nun mal viele andere gute Teams, die auch Titel wollen. Die haben die selben Ziele wie wir, aber es gibt immer wieder Leute, die das nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Was diese Mannschaft in den letzten zwei Jahren geleistet hat, ist unglaublich. Auch die Konkurrenz ist immer besser geworden und daher bin ich mal gespannt, welche Ziele sich die SG in Zukunft steckt. 

Wie geht es mit der SG weiter – Maik Machulla und Mark Bult bilden das neue Trainergespann. Du kennst beide, was traust du der Mannschaft zu? 
Ich hoffe, dass sie alles gewinnen und wünsche es Maik und Mark von ganzem Herzen. Aber sie wissen, vor allem Maik, was für eine Arbeit wir geleistet haben, um das jetzige Niveau zu erreichen. Es war viel Arbeit. Maik ist bereit alles zu geben, er wird Tag und Nacht für den Erfolg arbeiten, dass weiß ich. Er kennt die Mannschaft, das Umfeld, das System und muss daher im Grunde nichts ändern, um das weiterzumachen - es funktioniert. Aber um die Meisterschaft zu gewinnen, dafür muss man auch Glück haben. Ich hoffe, dass sie dieses Glück in den nächsten Jahren auf ihrer Seite haben. 

Du hast gesagt, nicht alles in Flensburg ist perfekt, hast du deshalb eine neue Herausforderung angenommen? 
Ja, das ist der Grund. Das ganze Paket von Veszprém ist sehr, sehr gut. Auf der Plus- und Minus-Liste war der ausschlaggebende Punkt die Bedingungen für meine Familie. Meine Kinder werden eine tolle neue Schule besuchen und das wird gut für ihre Entwicklung. Wenn man so einen Schritt macht, dann muss die Familie es gut haben und für uns als Familie wird es gut. 

War es im Nachhinein zu früh, den Wechsel im Winter bekannt zu geben? 
Diese Frage wurde mir schon oft gestellt und viele Leute haben sich dazu geäußert. Ich frage: wann ist der richtige Zeitpunkt? Im Mai? Drei Wochen vor dem Spiel gegen die Rhein- Neckar Löwen? Danach oder vor dem Finale Four in Hamburg im April? Ich finde, das beste ist die lange Pause im Januar, weil dann alle damit umgehen können. Es wird ruhig danach und man kann arbeiten. Es gibt immer Gerüchte und diese möchte man einfach beenden, daher ist es gut, wenn es öffentlich wird. Die Spieler wussten es ohnehin schon. Es hat sie also im Kampf um die Titel nicht beeinflusst? Nein. Wenn es so wäre, wäre es schlimm. Man kann sich natürlich zurücklehnen und sagen: deswegen haben wir nichts gewonnen, aber das ist Quatsch. 

Sag niemals nie, aber eine Rückkehr zur SG? Da muss laut Vranjes »viel passieren«. (Foto: Lars Salomonsen)

Mit Kentin Mahé wird dir im Sommer 2018 ein SG-Spieler folgen. Ist es auch erst in 2018 oder tut sich schon früher etwas? 

Ich habe schon 21 Spieler in Veszprém und das sind wirklich sehr viele. Kentin Mahé ist ein sehr guter Spieler, aber 22 brauche ich nicht. Es ist so, ich habe mir selber versprochen, keine Spieler von der SG zu holen, auch nicht nach einem Jahr. Sie haben jetzt Ruhe. Aber ich habe die Spieler ausgebildet und wenn einer dieser Spieler zu mir kommt und wieder mit mir arbeiten will, dann werde ich vielleicht nicht nein sagen. Aber ich gehe nicht zur SG oder zu Mahé und sage: kannst du bitte kommen, das werde ich nicht machen. 

Aber als alter Flensburger könntest du nach Kiel gehen und Andreas Wolff holen? Inwieweit bist du in den Planungen in Veszprém schon dabei und ist Wolff wie Gerüchte sagen dort tatsächlich ein Thema? 
Andreas Wolff ist ein sehr guter Torwart und er ist sehr unzufrieden in Kiel, dass hat man anhand seiner Äußerungen deutlich gemerkt. Es ist ganz einfach. Er möchte den Verein wechseln, es gibt aber ein Problem: seine Vorstellungen und die Vorstellungen von anderen Vereinen in Europa sind nicht auf einem Niveau. Vor einigen Monaten gab es Interesse, aber wir haben nie mit Andreas Wolff konkret über Verträge gesprochen und haben es auch jetzt nicht. 

Also in Veszprém habt ihr das nicht? 
Genau, du hast nach Veszprém gefragt, vielleicht Flensburg, das weiß ich nicht. Aber heute, in diesem Moment ist Wolff in Veszprém kein Thema, nein. 

Boy Meesenburg hat in seiner Abschiedsrede am Sonnabend gesagt, dass du es irgendwann nachholen musst, mit der SG Meister zu werden – was sagst du dazu, eine Hintertür für eine Rückkehr, sag niemals nie - kannst du dir das vorstellen und würdest du das irgendwann machen wollen. Wie hast du diese Aufforderung aufgefasst? 
Ich habe hier eine fantastische Zeit erlebt, mit dem Verein, den Spielern und den Fans. Man sagt auch niemals nie, aber einige Sachen müssten sich schon ändern, damit ich zurückkommen kann, das kann ich ehrlich sagen. Ich weiß nicht, ob das passieren wird. Ich bin ein Geradeaus-Typ und bodenständig und möchte mich als Person nicht ändern. Ob ich Erfolg habe oder nicht, ich bin, wer ich bin und trotzdem dein Freund. Damit kann ich leben, aber mit anderen Sachen nicht. Ich fordere viel, unglaublich viel und es ist nicht immer einfach mit mir zu arbeiten, aber ich möchte Erfolg und man muss eine gewisse Professionalität haben, um erfolgreich zu sein. Vielleicht passt das nicht immer mit einigen Personen, aber es ist einfach so, man kann im Leben nicht alles haben. 

Aber auf ein Champions League-Spiel Veszprém gegen Flensburg würdest du dich in der nächsten Saison schon freuen - oder lieber ein Jahr warten? 
Puha. Ich bin noch nicht weg. Veszprém ist zwar mein neuer Verein und ich möchte, dass sie gewinnen. Aber ich bin noch nicht da sondern hier und darum ist es noch schwer, dass ich gegen die SG gewinnen soll. Dass ich gegen die Jungs die richtige Taktik auswählen muss und mit meiner Art und Weise gegen sie sein soll. Ich habe Schwierigkeiten mit dem Begriff gegen die SG. Ich komme aber gerne zu Weihnachten und schaue mir ein Spiel an, um die Mannschaft zu unterstützen. Ich möchte nicht gegen die SG gewinnen, aber sie wollen gegen mich gewinnen.

Ruwen Möller