Handball

Kapitän erlebte emotionalen Seegang

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Thomas Bleicher
30. Mai 2019, 08:29 Uhr

Für Tobias Karlsson war sein letztes Heimspiel das ingesamt 500. Pflichtspiel im SG-Trikot. Foto: Martin Ziemer

Flensburg. Was für eine letzte Fahrt mit seiner SG Flensburg-Handewitt. Kapitän Tobias Karlsson hat in seinem finalen Auftritt vor eigenem Publikum ein extremes Wechselbad der Gefühle erlebt.

"Der Abschied war schön, aber wir sind heute vor allem angetreten, weil wir das Spiel gewinnen wollten", fasste der Schwede den 26:18-Heimsieg seiner SG gegen die Füchse Berlin zusammen und machte deutlich, was für ihn an diesem denkwürdigen Tag die größte Bedeutung hatte. 
Mit dem Erfolg haben Karlsson im Co. vor dem letzten Bundesliga-Spieltag weiterhin alles in eigener Hand, um zum zweiten Mal in Serie die Meisterschale in den Heimathafen an der Flensburger Förde zu holen.
Doch da war noch viel mehr.

Alles begann mit einer Huldigung. "KAPITÄN VORBILD LEGENDE - TACK FÖR 10 OFÖRLÖMLIGA ÅR, TOBBE" (danke für 10 unvergessliche Jahre) - stand auf einem überdimensionalen Banner, der die gesamte Länge der Gegengrade in der mit 6300 Zuschauern restlos ausverkauften Flens-Arena verschlang. 
Die Stehtribüne war bereits eine gute Stunde - wie vor den Derbys gegen Kiel - bestens gefüllt. Es lag eine besondere Atmosphäre in der Luft und bei jedem SG-Spieler, der die Halle zum Aufwärmen betrat, gab es Applaus. Karlsson erschien als letzter und bei ihm brandete der Jubel mächtig auf. Der Abwehrchef, der am Dienstag 38 Jahre alt wird, nahm es gewohnt gelassen hin, applaudierte in Richtung Anhänger und schien das Banner über ihm gar nicht wahrzunehmen.
Im Spiel packte er wie immer herzhaft zu. Die Berliner Offensive fand nicht statt, weil Karlsson die SG-Deckung einmal mehr auf höchstem Niveau organisierte. Doch dann der Schock. Wie schon vor einigen Wochen im Topspiel beim THW Kiel verletzte sich Karlsson auch gegen Berlin am Rücken (23.) und konnte nicht weiterspielen. Immerhin kehrte er nach einer Behandlung in der Kabine im Laufe des zweiten Durchgangs auf die Bank zurück.
"Ich wollte wieder rein, ich will immer spielen, aber es ging nicht", so Karlsson, der in einem Zweikampf vom eigenen Mitspieler getroffen wurde. Anders Zachariassen war der Unglücksrabe.

"Gegen den BHC werde ich spielen, davon darf jeder gerne ausgehen", so Karlsson hinterher bestimmt. Er hatte da sein Lächeln längst zurück und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: "Unsere medizinische Abteilung wird jetzt einen guten Job machen und dann bin ich dabei." Den Abschluss seiner zehn Jahre will er schließlich nicht von der Tribüne aus erleben. Und außerdem möchte er seinen 500 Pflichtspielen für die SG noch ein weiteres hinzufügen.

Gegen Berlin feierte er sein Jubiläum und stieg damit in einen elitären Kreis von nur fünf SG-Akteuren auf. Vor ihm haben nur Lars Christiansen, Jan Holpert, Thomas Mogensen und Lasse Svan den 500er-Club erreicht.
Nach dem Spiel war dann Zeit für den emotionalen Abschluss. Gemeinsam mit Rasmus Lauge, der die SG in Richtung Veszprém verlassen wird, wurde Karlsson verabschiedet. Zunächst ließen ihn die Fans hochleben, bevor Geschäftsführer Dierk Schmäschke ihn noch einmal raus bat, um ihn kurz darauf noch einmal einlaufen zu lassen. Zurück im Scheinwerferlicht und einige Videobilder von Karlssons Karriere später, richtete Schmäschke das Wort an den Spielführer. Er sagte u. a.: "Du hast eine der besten Handballkarrieren aktiv gestaltet. Du hast die SG gelebt und setzt dich mit Herz und Seele für Vielfalt und Toleranz auf dieser Welt ein. Das zeigt auch, dass du neben dem Platz ein großartiger Mensch bist."
Schmäschke zählte die Titel auf, die Karlsson in seiner glorreichen Karriere geholt hat. Mit der SG waren das der Europapokal der Pokalsieger 2012, der Supercup 2013, die Champions League 2014, der DHB-Poakl 2015 und die Meisterschaft 2018.
Mit einem großen Lächeln im Gesicht fügte Schmäschke über den Abwehrchef der SG, der schon seit Jahren nicht mehr im Angriff agiert, hinzu: "Ich werde keines deiner SG-Tore je vergessen, ich kann mich an jedes einzelne erinnern."
In 500 Spielen waren es 114. Karlsson lachte und hob den Zeigefinger. 
Schmäschke beendete seine Rede mit den Worten: "Du hast es mehr als verdient, eine Legende der SG zu werden und daher nehmen wir dich am 10. August in die Hall of Fame auf."

Karlsson war sichtlich ergriffen von der Atmosphäre und als er das Mikrofon in der Hand hielt, sagte er: "Das waren große Worte von Dierk. Ich weiß gar nicht, ob ich in wenigen Worten ausdrücken kann, was das hier alles, die Stadt, die Mannschaften, was ihr für mich und meine Familie bedeutet. Lasst mich noch ein paar Wochen überlegen. Dann treffen wir uns im August und dann sage ich etwas. Eines kann ich euch aber jetzt schon sagen: In meinen knapp 17 Jahren im Profihandball habe ich einiges erlebt. Was hier in dieser Halle jede Saison abläuft, ist etwas ganz Außergewöhnliches."
Am 10. August kehrt Karlsson noch einmal zurück und bekommt im Rahmen des Jacob Cement Cup ein Abschiedsspiel geschenkt.
Vorher möchte er den Emotionen aber noch eine hinzufügen - und zwar die pure Freude über den Gewinn der zweiten deutschen Meisterschaft in Folge. Dazu muss er seine SG am 9. Juni in Düsseldorf gegen den Bergischen HC ein letztes Mal auf Kurs halten.

Ruwen Möller

Die meisten SG-Pflichtspiele

1. Lars Christiansen 626

2. Jan Holpert 596

3. Thomas Mogensen 549

4. Lasse Svan 533

5. Tobias Karlsson 500

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