Von Kleiderordnung und Führungsanspruch

Handball WM

11. Januar 2019, 23:30 Uhr

Gebürtiges Nordlicht: Hendrik Pekeler stammt aus Itzehoe. Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin. Wenn die deutschen Handballer bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land erfolgreich sind, hat das auch damit zu tun, dass Hendrik Pekeler T-Shirts im DIN-A-4-Format zusammenlegen kann. „Das habe ich bis heute beibehalten“, sagt der Kreisläufer vom THW Kiel. Zwei Monate lang, zu Beginn des Jahres 2010, lernte der Nationalspieler während der Grundausbildung bei der Bundeswehr nicht nur Ordnung im Kleiderschrank, sondern bekam persönlich den Dreh, der ihn bis zum Führungsspieler innerhalb der Nationalmannschaft gemacht hat. Aus dem schlampigen Talent ist ein neuer Chef erwachsen, der seinen Anspruch seit Donnerstag und dem WM-Eröffnungsspiel in Berlin gegen Korea ganz selbstverständlich auf dem Platz zeigen will.
Jahrelang begannen Texte über Pekeler stets mit Ausführungen zu dessen wilder Zeit als Handball-Jungprofi, das ändert sich erst nach und nach. Talent war beim Nachwuchsspieler in großem Maß vorhanden, doch mit 18 Jahren fehlte der Fokus auf die Vorrausetzungen für einen Profisportler, um sich beim THW Kiel durchzusetzen. Es bedurfte der Zeit bei der Bundeswehr und der Stationen beim Bergischen HC (2010-2012) und TBV Lemgo (2012-2015), ehe er bereit war, zu einem Spitzenteam zu wechseln. Die Phase bei der Grundausbildung war dabei nicht nur wegen der Kleiderordnung entscheidend. „Da lernt man, dass man es nur zusammen schaffen kann, das hat mich extrem geprägt“, berichtet Pekeler. Talent und Mentalität fanden über das Vehikel Bundeswehr zueinander und sorgten dafür, dass aus dem „Hallodri“ ein Führungsspieler wurde.

„Ich habe gerne Verantwortung und versuche, die Mitspieler zu leiten“, sagt Pekeler. „Ich glaube, dass mein Wort Gewicht hat“, erklärt der 2,03 Meter große Hüne. Innerhalb der Nationalmannschaft ist er nicht der einzige Spieler, der führen sollen. Kapitän Uwe Gensheimer, Steffen Weinhold, Finn Lemke und Silvio Heinevetter nehmen nach innen ebenfalls eine besondere Stellung ein. Pekeler ist kein Spieler, der mit Gesten seine Stellung untermauert, oder lautstark während eines Matches herumbrüllt – er führt zunächst einmal durch Leistung auf dem Feld.
„Hendrik spielt eine ganz wichtige Rolle für mich“, sagt Christian Prokop. „Er ist mein Ansprechpartner für Situationen in der Abwehr und auch darüber hinaus.“ Die heutige Wertschätzung des Bundestrainers für den Kreisläufer und die gegenseitige Vertrauensbasis waren vor einem Jahr in dieser Form nicht zu erwarten gewesen. Pekeler war teamintern einer der Spieler, die Prokop während und nach der Europameisterschaft in Kroatien, die enttäuschend mit dem neunten Platz endete, kritisch gegenüberstanden. Durch Aussagen des Spielers wurden die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Akteuren und dem neuen Trainer offenkundig. Es spricht für die Persönlichkeit beider, dass die Probleme zunächst überwunden werden konnten und daraus ein Verhältnis entstand, mit dem Pekeler seine Führungsrolle mit Leben füllen kann.
Prokops Rochade, dem 27-Jährigen mehr Verantwortung zu übertragen, ist klug, denn Pekelers Rolle im Verein zeigt, wie wichtig er innerhalb eines Teams ist. Es ist kein Zufall, dass die Kieler in der laufenden Saison zum ersten Mal seit Jahren gefestigt und stabil wirken, während die Löwen als Dominator der jüngeren Vergangenheit eben diese Eigenschaften verloren haben – Pekeler wechselte im vergangenen Sommer von den Rhein-Neckar Löwen zurück zum THW Kiel. Es liegt nicht allein, aber zu großen Teilen an der An- beziehungsweise Abwesenheit des Kreisläufers, der im Angriff und in der Abwehr gleichermaßen große Stärken hat. Beim THW schlüpfte Pekeler im vergangenen Sommer schnell in die Rolle, die er auch im Nationaltrikot ausübt. „Ich habe mir selbst gesagt, dass ich vorangehen muss, wenn wir mit Kiel erfolgreich sein wollen“, erklärt er.
Der Führungsanspruch von Pekeler lässt sich nicht nur mit der Persönlichkeit und der Spielweise erklären, sondern zusätzlich statistisch untermauern. In den zurückliegenden drei Jahren war kein deutscher Spieler erfolgreicher. Mit der Nationalmannschaft war er am EM-Sieg 2016 und dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen ein paar Monate später beteiligt. Mit dem Verein gewann er zwei Meisterschaften und einmal den DHB-Pokal. „Ich kenne Stresssituationen und die Wege, sie zu lösen“, sagt Pekeler selbstbewusst. In der laufenden Spielzeit ist er mit dem THW in der Meisterschaft, im nationalen Pokal und im EHF-Cup noch aussichtsreich im Rennen. Vieles deutet darauf hin, dass die persönliche Titelsammlung 2019 erweitert wird.
Möglicherweise sogar schon im Januar? Dazu äußert sich der Kreisläufer nicht. Hendrik Pekeler, der in der Jugend für den ETSV Fortuna Glückstadt, den MTV Herzhorn und den Bramstedter TS spielte, ist meinungsstark und führungsbereit, aber Hendrik Pekeler ist kein Lautsprecher.


Michael Wilkening